Mittwoch, d. 6. Juni 2018, 20:30 Uhr
Florian Balze | Velkarno IV (vorn) | Velkarno I (Mitte) | Priggo (hinten)
Florian Balze geht es darum, die
Auseinandersetzung mit dem Thema Abstraktion von den Rändern aus
weiterzuführen.
Er orientiert sich seit langem am
Modernismus der Nachkriegszeit, und an dem Aufgreifen dieser Ästhetik bzw.
deren stilistischer Codes in angewandten Bereichen wie Möbel- und Interior
Design sowie architektonischen Gestaltungen, so dass wir beim Anblick seiner
Werke an Produkte aus einer Manufaktur oder der Industrie denken. Die modularen
Wiederholungen tragen in der Regel unmittelbar dazu bei, wobei das Modulare
nicht im Sinne der Minimal Art wiederbelebt wird, sondern um den Aspekt des
Dekorativen und Ornamentalen erweitert ist und damit schlussendlich im
Erscheinungsbild sowie im Inhalt gänzlich eigene Weg beschreitet.
Schauen wir seine Objekte an, ist eine
produktive Verwirrung am Werk, angefangen eben bei der Frage, ob wir es mit
funktionalen oder skulpturalen Gebilden zu tun haben. Handelt es sich bei Wandarbeiten
wie „Priggo“ zum Beispiel um ein Holzregal oder doch um eine Reliefskulptur?
Auch die Frage „Was war zuerst da?“ lässt
sich bei den neueren skulpturalen Arbeiten der Serie „Velkarno“, die mit einer
deutlichen Zweiteiligkeit arbeiten, nicht beantworten. Darin ebenso
unbeantwortet bleibt die Frage, ob denn jetzt die Holzfigur eines drapierten Faltenwurfs
auf einer Stange der eigentlich wichtigere Teil der Arbeit ist, oder vielleicht
doch der Sockel, der um einiges größer, farbenprächtiger und – sehr
entscheidend – singulärer ist, während der Faltenwurf sich mehr oder minder wiederholt.
Nach herkömmlichem Sehen wäre oben auf dem Sockel befestigt – und im wahrsten
Sinne des Wortes erhöht – die eigentliche Skulptur, sprich das Kunstwerk zu
sehen, um das es geht. Dies wäre demnach das drapierte Tuch, handwerklich
umgesetzt aus Lindenholz, mit Öl so bearbeitet, dass es an alte gebeizte
Holzskulpturen und ihre Faltenwürfe denken lässt.
Florian Balze jedoch kehrt überraschend die
Verhältnisse um, beziehungsweise schafft er durch die Aufhebung einer linearen
Lesbarkeit des Werks (was war zuerst da? Was ist wichtiger von beidem?) eine Hinterfragung,
eine Unsicherheit, eine Instabilität der Wahrnehmung, die uns nachhaltig
beschäftigt.
Die Annäherung an Abstraktion geschieht
übrigens auch in den Faltenwürfen exemplarisch von ihren Rändern her. Seit zwei
Jahren arbeitet Florian Balze inspiriert von spätmittelalterlichen, in
Lindenholz geschnitzten Gewandfalten (man denke an Tilman Riemenschneiders
bewegte Faltenkaskaden). Dies vor dem Hintergrund, dass sich damals formale
Sprache derart verselbständigte, dass man von einer „Abstraktion avant la
lettre“ sprechen könnte.
Während seiner Arbeit an der Serie entfernt
sich Florian Balze allerdings zunehmend vom mittelalterlichen Vorbild und
stellt unter Zurücknahme der Bewegtheit ein gleich großes, immer ähnlich
hängendes Tuch nurmehr dar.
Auch hier also kommt der Aspekt der
Wiederholung aufgrund der kaum sichtbaren Varianz zum Tragen. Umso stärker unterscheiden
sich, wie schon gesagt, die dazugehörigen modernistischen Sockel- und
Haltekonstruktionen in ihrer gestalterischen Ausformung, repräsentieren also vorgeblich
jeweils den eigentlichen Akzent des Werkes, was unserer konventionellen
Auffassung von Kunstwerk und Sockel zuwider läuft.
Im Rückgriff auf mittelalterliche abstrakte
Gestaltungsformen werden in dieser Werkserie außerdem Fragen von künstlerischem
und kunsthandwerklichem Schaffen aufgeworfen, wurden doch die besagten
mittelalterlichen Schnitzwerke noch im Werkstatt- und Zunftkontext geschaffen,
aber bereits an der Schwelle zur Neuzeit, mit den ersten Schritten der
Autonomisierung der Kunst und Aufwertung des Künstlerberufs – eine Entwicklung,
die auf lange Sicht in der Überhöhung des modernen und zeitgenössischen
Künstlers mündet. Genau dieses Pathos wird allerdings in den möbelartigen
Abstraktionen in Frage gestellt, so dass sich hier ein Kreis von Bezugnahmen
schließt.
Text: Sonja Klee