In der Ausstellung: Decad, Philip Kojo Metz, The Mimicry Games, Gneisenaustraße 52, 10961 Berlin
Philip Kojo Metz | The Mimicry Games: German Team
Spielen mit dem Spiel
Kontinente, Nationen, Regionen und selbst
kleinere Gemeinschaften, die sich über einen Clan oder einfach nur über die
Familie als zusammengehörig verstehen, bilden jeweils Grenzen, über die sie
sich definieren und entsprechend von Anderen unterscheiden. Daneben können auch
anthropologisch bedingte Faktoren wie das Geschlecht, das Alter oder die
Hautfarbe eine Rolle bei der jeweiligen Zuordnung spielen. Über Gesetzestexte
bzw. - im sozialen Miteinander – über Traditionen und Rituale werden diese
Grenzen jeweils gewahrt. Ihre wahrhafte Stärke, den Einzelnen in den jeweiligen
Gemeinschaften zu binden und damit auch vor dem Verlust der Zugehörigkeit zu
schützen, gewinnen die Gruppierungen jedoch nur, wie es erstmals in dieser
Deutlichkeit der Berliner Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme in seinem mit dem
Meyer-Struckmann ausgezeichneten Buch Fetischismus und Kultur 2006
herausarbeitete, in dem der über die Traditionen und Rituale gepflegten
Zusammengehörigkeit, eine herausragende Bedeutung zugeschrieben wird. Und so
kommt es, dass auch ein so einfachen Ding wie ein Fußball bzw. dem Fußballspiel
für das Verständnis der Nationen und damit für jedes einzelne Mitglied eine
besondere Rolle übernehmen kann. Böhme bezeichnet diese einfachen Dinge, die
diese Aufgabe übernehmen können, als Fetische. Welchem Ding letztlich Bedeutung
zugeschrieben wird, spielt dabei keine Rolle. Das kann alles sein. Ihre
Aufwertung zu einer identitätsstiftenden Bedeutung, die sie eigentlich nicht
haben, erfolgt schließlich in „Gesten der Zuwendung“ wie Staunen, Neugierde,
Aufmerksamkeit und ausdauerndes Verweilen. Der „Ort“ an dem das stattfindet,
hier der Fußballplatz bzw. das Fußballspiel, kann so Böhme, entsprechend als
„ein magisches Milieu“ und der Vorgang, mit dem die stummen Dinge Bedeutung
gewinnen, als „Fetischisierung“ bezeichnet werden. D.h. erst wenn sich eine
Gruppe gemeinsam einer Sache hingibt, kommt das Gefühl der Gemeinsamkeit bzw.
Zugehörigkeit auf. Hier ist es der Fußball bzw. das Fußballspiel, das ein
Gefühl der Zusammengehörigkeit, der gemeinsamen Stärke und Möglichkeiten einer
Stadt, einer Region oder einer Nation vermittelt und befördert. Insofern
erlaubt die Fetischisierung, wie es Böhme formuliert „ein komplexes System der
Ordnungserzeugung, der Handlungssteuerung, der symbolischen Sinnstiftung und
der rituellen Integration von Gemeinschaften und Individuen“ zu erzeugen. So
bergen die Dinge bzw. die Rituale und Traditionen, an die sie geknüpft sind,
ein Verbrechen auf Sicherheit, Zugehörigkeit und damit Glück. Im Gegensatz zu
den Traditionen und Ritualen selbst, sind damit die Werte, für die sie
einstehen, kulturunabhängig. Daraus wird zugleich erkennbar, dass jedem
Einzelnen in der Regel sehr viel daran liegen muss, diese über die Traditionen
und Rituale und den Dingen gezogenen Grenzen aufrecht zu erhalten, da sie eine,
die eigenen Existenz betreffende Bedeutung haben. Sein ganzes Wirken und Tun
zielt daher darauf hin, die mit den Dingen zusammenhängenden Rituale und
Traditionen zu wahren. Das kann sogar soweit gehen, dass die jeweiligen mit
ihnen gebildeten Grenzen „bis aufs Messer“ verteidigt werden. Denn jedes
infrage stellen der Grenze bedeutet womöglich, dass deren Macht und Wirksamkeit
aufgehoben und damit deren Versprechen auf Schutz und Glück verloren gehen
könnte.
...
oder, wie wir Grenzen überwinden können.
In dieser besonderen Situation ist es die
Kunst, so sieht es auch Böhme, die über ihren spielerischen Umgang mit den
Grenzen, als Motor angesehen werden kann, die Grenzen zu überwinden, ohne Angst
und Schrecken zu verbreiten. Spielerisch ergreift sie die Dinge, wie eben
Philip Metz den Fußball, und so verlegt er in seinem Projekt Mimicry Games den Ort, an dem die UEFA
European Championship 2016 ausgetragen werden von Europa nach Afrika, er
ersetzt die weißen Spieler durch schwarze und zieht ihnen Trikots der
Europäischen Mannschaften über, die sie eigentlich gar nicht tragen dürfen.
Doch das Spiel bleibt das gleiche. Einzelne Nationen, deutsche und französische
oder englische Mannschaften, spielen gegeneinander. Die Funktion des Spiels als
magisches Milieu Bedeutung zu stiften, löst sich nicht auf, nur die Bedeutungen
sind nicht mehr diejenigen, die erwartet werden. Oder etwa doch? Sind nicht die
schwarzen Spieler aus Afrika aufgrund ihrer von den europäischen Nationen geprägten
kolonialen Vergangenheit doch auch Deutsche, Engländer und Franzosen? Ganz
allgemein stellt sich hieran die Frage, ist Afrika nicht viel enger an Europa
gebunden als angenommen? Bemerkenswerterweise erweist sich die implizit
unterstellte Annahme in der letzten Frage auch dann als gültig, wenn die
afrikanischen Staaten unter eigener Flagge teilnehmen würden, da die
Mitgliedschaft in der UEFA erstaunlicherweise nicht von territorialen Aspekten,
sondern vom politischen Willen abhängt. Die Beteiligungen Russlands, der Türkei
oder Israels sprechen davon. Bedrängt durch die von der Kolonialzeit geprägte
historische Vergangenheit sowie durch das neue Selbstverständnis Europas, wie
es die UEFA repräsentiert, veranlassen die MIMICRY GAMES damit zu Fragen, die sich
von beiden Seiten der „Grenze“, von Europa und von Afrika aus beziehungsweise
jedem Einzelnen gleichermaßen stellen: Wer bin ich? Wohin gehöre ich? Was macht
mich und die Gemeinschaft, in der ich lebe, eigentlich aus? Mit dem
künstlerischen Spiel, so zeigt sich, werden die Grenzen nicht aufgehoben,
sondern (nur) spielerisch deren Setzungen hinterfragt. Auf dem Platz, im Sportstudio und in Public-Viewing-
und Ausstellungskontexten werden diese und andere Fragen, wie es Philip Metz
anregt, schließlich von den Fußballprofis und unter den Fachleuten aus Politik,
Kultur, Kunst und Sport sowie dem Fernseh- und Ausstellungspublikum spielerisch
hin- und herbewegt.
Mit
dem Mimicry-Konzept bzw. der
ästhetischen Aneignung des Fußballspiels fordert damit der Künstler die
Bedeutung des Originals, hier des Fußballspiels als das
identitätsstiftende Moment, heraus. So hilft dem Künstler sowohl die Prominenz
als auch die, wie es sich herausstellte, sehr viel weniger eindeutig definierte
Mitgliedschaft der Territorien zur European Championship, die
gesellschaftlichen und kulturellen Alternativen der eigenen Identität
spielerisch aufzuzeigen und zu diskutieren. Das medial und produktionstechnisch
weit gefasste Konzept der Kunstpräsentation, wie sie die Mimicry Games von Philip Metz
ausmachen, spiegelt und verhandelt derart auf seine Weise die globale
Situation, in der mit den Migrationsprozessen nicht nur Menschen-, sondern auch
Bilder- und Ideenströme des eigenen Selbstverständnisses in Bewegung geraten
sind.
Dr. Martina Sauer
* Wie wichtig das
Thema „Grenzen überwinden“ zur Zeit auch im wissenschaftlichen Kontext ist,
zeigt sich etwa an dem jüngsten Forschungsprojekt in Bremen an der Hochschule
für Künste „Kunsttopographien globaler Migration“ und an der Ringvorlesung diesen
Herbst und Winter und der für 2017 angesetzten gleichnamigen Konferenz der
Deutschen Gesellschaft für Semiotik in Passau.
Mimicry Games
Backgrounds
to the concept:
Playing with games
Playing with games
Continents,
nations, religions as well as small groups, which belong together as clans or
families, mark borders which define and distinguish them from others.
Furthermore, there are anthropological aspects as gender, age, or race which
play a role in the classification of people. By laws – or in social
interactions - by traditions and rituals these borders are maintained. But the
real power, as the Berlin cultural scientist Hartmut Böhme spotted at first in Fetischismus
und Kultur 2006 for which he has won the Meyer-Struckmann prize, to retain
these people in communities and in securing their belonging is given by
attributing a special meaning to their shared identity which is defined by
traditions and rituals. In this system even a simple thing as a football or a
football match can take a special role to form the identity of nations as well
as of their members. Böhme named these simple things, which may gain this
function, fetishes. Which kind of thing gets importance does not matter. All
kind of things are possible. They get their identity producing significance,
which they do not have naturally, in gestures of devotion such as astonishment,
curiosity, attention, and long-lasting stay. Böhme qualified the place where
this will happen „a magical milieu“ and the process of forming meaning to
silent things „fetish making“. Thus, only by the common devotion the
participants are forming a feeling of conformity or rather that of identity.
Here it is the football or the football match which enables and promotes the
common sense of belonging to a community such as a city, a region or a nation
by jumping
the feeling of collective strength and possibilities. Hence, the fetish making
allows as Böhme said to establish „a complex system of rules, of action
control, of symbolic meaning, and the ritual integration of groups and
individuals“. Therefore, the things or the rituals and traditions to whom they
belong, may promise security, affiliation and luck. In contrast to the rituals
and traditions themselves, the values they represent are non-cultural. So it
gets obvious that it is natural for everyone to keep the borders intact which
have been given by the rituals and traditions because they have an existential
meaning for them. Thus, their whole doing and making has the goal to maintain
the rituals and traditions which are belonging to the things. It even may go as
far as defending the borders which have been set by themselves to the death,
since each questioning of the borders can be taken as a lost of power and
effect and thus can cancel their promise of security and luck.
… or
how to overcome boundaries
In this
special situation, it is the art, as well as Böhme is saying, which can be seen
as a motor, that will overcome the boundaries by its playful ways without to
spread fear and panic. It grabs the things playfully as likewise Philip Metz
the football, so much that he will switch in his project Mimicry Games the location of the UEFA
European Championship 2016 at another place than usual from Europe to Africa,
he will exchange the white players against black and will hand them over
T-shirts from European teams they are normally not allowed to wear. Yet, the
game remains the same. The different nations, German and French or English
teams, are playing against each other. The function of the game as a magical
milieu to create meaning will not be dissolved, but the meaning will not be the
same as expected. Is it right, or not? Are not the black soccer from Africa
just as much Germans, Englishman and French people because of their past which
is marked by the European colonisation? In general this raises the question, is
Africa not much more linked to Europe than assumed? Looking at it more
precisely, the underlying assumption in this last question stays valid too if
the African nations would participate under their own flags, since the
membership of the European Championship depends astonishingly not on
territorial aspects but the political will, as the membership and thus the
participation of Turkey, Russia or Israel illustrate. Provoked by the colonial
history of Africa as well as by the new self perception of Europe as it is
represented by the UEFA, the MIMICRY GAMES put forward questions which can be
asked from both sides of the border from Europe´s and Africa´s and eventually
by everyone who lives there: Who am I? To whom am I belonging? What is defining
myself and the community I am living? By the artistic play it becomes obvious,
the boundaries will not be overcome but their meaning can be questioned. At the
football field, in the sport studio and in public viewing and exhibition spaces
these and other questions will be moved playfully back and forth by the
professional football players, the specialists of politics, culture, arts and
sports and the television and exhibition audience worldwide.
By the Mimicry-concept or the aesthetic
appropriation of football matches the artist challenges the meaning of the
original, here the football match, as a dimension of forming identification.
Therefore, the celebrity and as it turned out the far less clear defined
conditions of membership of the territories to the European Championship, help
the artist to show and discuss playfully the social and cultural alternatives
of one´s own identity. By the broad medial and technical realization of the
artistic presentation, the Mimicry Games
of Philip Metz mirror and discuss in their own way the global situation, where
with the processes of migration not only the flow of people but that of images
and ideas of self estimation appears to be on the move.
Dr.
Martina Sauer
* How
important the topic „overcoming boundaries“
is at the moment, can be seen as well in the scientific context, as
illustrates the recent research project at the University of the Arts in Bremen
„artistry topography of global migration“ and the scheduled lecture series this
autumn and winter and a conference with the same name by the German Society of
Semiotics 2017 in Passau.
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This next exhibition will serve as a retrospective
on the first chapter of Metz's ongoing work, The Mimicry Games,
which offers a postcolonial critique of the culture surrounding
football in Africa and in Europe, manifesting in the forms of football match
and panel discussion.
Over the course of Philip Kojo Metz's exhibition in
Decad’s storefront gallery space, a body of new works will be produced within
Decad's public programme, both in the Hinterhaus lecture space as well as a
community football field in Berlin-Kreuzberg.